Die sich wandelnde Rolle der betrieblichen Mitbestimmung in Unternehmen und Verwaltung – angetrieben durch die sozial-ökologische Transformation

Der Russland-Ukraine-Krieg, die sich verschärfende Klimakrise, die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise, Material- und Lieferkettenengpässe durch die Corona-Krise und höhere Leitzinsen. Eine multiple Zangenkrise wie diese hat bereits deutliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung im industriellen Sektor. Die bislang ungebremste Inflation wird sich zudem auch negativ auf die Nachfrage in beschäftigungsintensiven Dienstleistungsbereichen auswirken. In den Unternehmen und Verwaltungen sind nun besonders die Betriebs- und Personalräte in einer ihrer Kernaufgaben – der Mitbestimmung an der Gestaltung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen – vor große Herausforderungen gestellt.

Berufsbegleitende Zertifikatsstudiengänge – speziell für Betriebs-/Personalrät:innen

Erkämpfte Rechte und Pflichten

Digitale Transformation

Betriebsräte stehen vor neuen Herausforderungen.

Die Mitbestimmung durch Betriebsräte (BR) und Personalräte (PR) ist ein konstitutiver Bestandteil der Sozialverfassung der Bundesrepublik Deutschland. Mitbestimmung reguliert das Spannungsverhältnis zwischen den Freiheitsinteressen der Kapitaleigner und den sozialen Interessen der Erwerbstätigen nach stabilen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen. Mitbestimmung kennt eine lange Geschichte von strukturellen Konflikten, ihrer politischen Regulierung und schließlich der Institutionalisierung von sozialen Kompromissen durch gesetzliche Regelungen, wie dem Betriebsverfassungsgesetz in der Wirtschaft und den Landespersonalvertretungsgesetzen in der öffentlichen Verwaltung.

Die Etablierung von Betriebsräten, Personalräten und Gewerkschaften sind das Ergebnis erkämpfter Resultate dieser alltäglichen Kooperationsformen. Diese Institutionen sind das Sprachrohr der Beschäftigten und haben insbesondere in großen Organisationen Solidarität unter den Erwerbstätigen bewirkt. Solidarität unter den Beschäftigten ist eine wesentliche Ressource, ohne die sich keine reziproken Verbindlichkeiten herausbilden können. Um individuelle und kollektive Arbeitsrechte über die Gestaltung der Erwerbsarbeit hinaus institutionell in der Gesellschaft zu verankern, bedarf es darüber hinaus politischer Organisationen, die diese Zielsetzungen in den Parlamenten der Länder und des Bundes unterstützen. Die Betriebsverfassung, die Tarifautonomie sowie die Arbeits- und Sozialgesetzgebung kennzeichnen bedeutsame Resultate der relativen gesellschaftspolitischen Macht der Erwerbstätigen als Sozialbürger:innen. Das Konzept der Mitbestimmung basiert somit ursächlich auf einem in der Arbeitswelt gewachsenen, spezifischen sozialen Milieu, das sich durch die enge Kooperation betrieblicher, gewerkschaftlicher Organisationen der Erwerbstätigen und politischer Parteien auszeichnet.

Die drei Arten der Mitbestimmung

In Deutschland existieren verschiedene Arten der Mitbestimmung: Die Mitbestimmung am Arbeitsplatz (1), die betriebliche Mitbestimmung (2) und die Unternehmensmitbestimmung (3).

1) Mitbestimmung am Arbeitsplatz

Laut dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und dem Landespersonalvertretungsgesetz verfügen Beschäftigte über Ansprüche auf direkte Partizipation am Arbeitsplatz, einen Aufklärungsanspruch über die Tätigkeitsmerkmale der jeweiligen Arbeitsstelle und die Verantwortung, die sie zu übernehmen haben. Bei betrieblichen Planungen hat der Arbeitgeber den Beschäftigten die Auswirkungen auf den Arbeitsplatz und auf die Tätigkeit zu informieren und mit ihm auch zu erörtern. Beschäftigte müssen zwingend sowohl über die physischen als auch die psychischen Gefährdungen bei der Arbeit aufgeklärt werden. Diese ergeben sich aus der nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) vorgeschriebenen, mitbestimmungspflichtigen Gefährdungsbeurteilung.

2) Betriebliche Mitbestimmung

Die Mitbestimmung durch Betriebsräte wird im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und die der Personalräte in den Landespersonalvertretungsgesetzen (LPVG) geregelt. Als Betrieb und Verwaltung gelten im arbeitsrechtlichen Sinne organisatorische Einheiten, mit denen auf eine bestimmte Dauer bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt werden. Auf Betriebs- und Verwaltungsebene vertreten Betriebs- und Personalräte die Interessen der Beschäftigten. Umfasst ein Unternehmen mehrere Betriebe auch in der Europäischen Union, so sind außerdem Gesamt- und Eurobetriebsräte zu bilden. Diese bestehen i.d.R. aus den Vertretern der einzelnen Betriebsräte . Es ist Aufgabe des Betriebsrates und des Personalrates sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen und gesundheitlichen Interessen der von ihnen vertretende Belegschaft wahrzunehmen. Es existiert ein abgestuftes System der Mitbestimmung. Über die weitest gehenden Mitbestimmungsrechte verfügen Betriebs- und Personalräte im Personal- und Sozialwesen und in organisationalen Belangen herrschen Konsultationsrechte vor. In allen wirtschaftlichen Themenfeldern verfügen die Interessenvertretungen lediglich über Informationsrechte. Arbeitgeber, Betriebsrat und Personalrat sollen nach den Vorgaben der Gesetze vertrauensvoll und unter Berücksichtigung geltender Tarifverträge zusammenarbeiten. Der Gesetzgeber hat im Kontext der Corona-Krise in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden im Sommer 2021 die letzte Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, das Betriebsrätemodernisierungsgesetz, verabschiedet. Es regelt insbesondere die Mitbestimmung bei mobiler Arbeit neu. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht vor, dass Betriebsräte künftig bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit mitbestimmen können. Dafür wird mit § 87 Abs. 1 Nr. 14 ein ganz neuer Mitbestimmungstatbestand geschaffen. Auch die Frage der betrieblichen Weiterbildung wurde im § 96 Abs. 1 BetrVG neu geregelt. Betriebsrat und Arbeitgeber werden hier zu einer übereinstimmenden Regelung verpflichtet.

3) Unternehmensmitbestimmung

Die deutsche Unternehmensmitbestimmung umfasst wiederum drei verschiedene Modelle mit jeweils eigenen Rechtsgrundlagen: die Montanmitbestimmung von 1951, die ‚76er Mitbestimmung‘ nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 und die Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz von 2004 für kleinere Kapitalgesellschaften. Die Modelle differieren in der Reichweite der Mitbestimmung und der Konstellation der Machtbeziehungen von Arbeits- und Kapitalseite. In Abhängigkeit von der Zusammensetzung des Aufsichtsrats und den Partizipationsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertretungen implizieren sie Modelle einer paritätischen, einer quasi-paritätischen und einer unterparitätischen Mitbestimmung im Unternehmen.

Qualifikationsanforderungen und Qualifizierungsbedarfe

Die Komplexität der Aufgabenbereiche steigt auch bei Betriebsräten.

Die Forscherinnen und Forscher an der Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM haben sich im Kontext der aktuellen tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation mit den konkreten Qualifikationsanforderungen und Qualifizierungsbedarfe von Betriebs- und Personalräten beschäftigt. Das Aufgabenprofil von Interessenvertreter:innen der Beschäftigten ist im Kontext der tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation zunehmend komplexer geworden. Insbesondere eine zunehmenden Vielfalt betriebsratsinterner Themen und Anforderungen an die Gremien, wie komplizierte Tarifverträge, Generationenwechsel und Wissenstransfer sowie Nachwuchssuche, neue Technologien nicht nur im Betrieb, sondern auch in der BR-Arbeit selbst und den weiter zu bearbeitenden Standardthemen (Arbeitsrecht, Entgelt, Beschäftigungssicherung, Arbeitsschutz, etc.) deuten aus eine starke Zunahme der Aufgaben und damit auch eine zunehmende Verdichtung –  insbesondere bei nicht-freigestellten Mitgliedern –  der Betriebsratsarbeit. Diese Verdichtung führte auch dazu, dass Weiterbildung immer mehr unter Druck gerät.

Weiterbildungsdauer und -ort (zzgl. Anreise) werden zunehmend vor dem Hintergrund dieser Verdichtung hinterfragt. Zu der Frage nach den Bedarfen in der Betriebsratsweiterbildung stellt sich vermehrt auch die Frage nach der Organisation der Weiterbildung selbst. Welche Bedürfnisse und Erwartungen haben die verschiedenen Typen von Betriebsräten an die Weiterbildung? Wie können Weiterbildungsangebote konzipiert werden, dass sie den durchaus unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden können? Welche neuen Inhalte und Methoden der Wissensvermittlung werden nachgefragt?

Vereinbarkeit von Betriebs-/Personalratstätigkeit und Familie

Auch individuelle Faktoren, wie die Pflege von Familienangehörigen werden bedeutsamer und weitere Anforderungen aus dem Privatleben geben die Leitplanken einer gelingenden Weiterbildung für Betriebsräte vor. Die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie haben aufgezeigt, dass zwar ein Großteil der Betriebsratsmitglieder Online-Weiterbildungen ablehnen, es aber auch eine wachsende Gruppe insbesondere weiblicher Betriebsratsmitglieder gibt, die durch Online-Weiterbildungen erreicht werden kann, die vorher weniger Präsenz-Weiterbildungen besucht haben. Hier bleibt zu klären, wie sich dieser Trend einer Digitalisierung der Weiterbildung weiterentwickelt und inwiefern dort auch von den Arbeitgebern Druck ausgeübt wird vermehrt online-Weiterbildungen zu buchen.

Ungeklärt ist zudem die Frage nach der persönlichen Qualifizierungsperspektive von Betriebsratsmitgliedern. Streben diese eine Betriebsratskarriere an oder wollen sie sich nur temporär im Betriebsrat engagieren und ihren Berufsbezug nicht verlieren? Wie kann vor diesem Hintergrund Weiterbildung die berufliche Perspektive erhalten und beim Problem der Aushandlung des Entgelts freigestellter Betriebsräte helfen (Gleichstellungsgrundsatz in der Entgeltentwicklung)? Wie sehen maßgeschneiderte Weiterbildungsangebote für solche Passagen des individuellen beruflichen Lebens aus? Und wie können hier auch beruflich orientierte Ausbildungsreihen explizit für Betriebsräte (Kompetenzprofile) unterstützen?

 

Berufsbegleitende Zertifikatsstudiengänge – speziell für Betriebs-/Personalrät:innen

Auch die Akademie der Ruhr-Universität Bochum hat sich dieser Fragestellungen und deren Lösung angenommen. Die Akademie der RUB bietet seit mehr als 40 Jahren ein umfangreiches Portfolio interdisziplinärer Bildungsmaßnahmen und Beratung an. Die enge Kooperation zwischen Lehre und Forschung an der Ruhr-Universität bietet dazu ideale Voraussetzungen. Die Unterstützung betriebs- bzw. personalrätlicher Arbeit ist schon immer ein Akademie-Schwerpunkt.

New Work – die neue Arbeitswelt als Betriebs- und Personalrät:innen aktiv mitgestalten

Die aktuelle Gemengelage der Zangenkrise trifft zeitgleich auf einen grundlegenden Wandel, wie wir unsere Arbeitswelt gestalten und täglich bewältigen können. So werden an betriebliche Interessenvertreter:innen neben der fachlichen Expertise auch immer mehr Anforderungen überfachlicher Kompetenzen gestellt. Diese umfassen z. B. die Kommunikation, konzeptionelles Denken und Arbeiten sowie die effiziente und effektive Gestaltung von Arbeit und Beschäftigung ganz allgemein. Mit der berufsbegleitenden Weiterbildung „New Work, die neue Arbeitswelt aktiv mitgestalten“ bietet die Akademie der Ruhr-Universität in Kooperation mit dem DGB Bildungswerk NRW interessierten Betriebs- und Personalrät:innen einen umfassenden Einstieg und Überblick sowie einen praxisorientierten Methodenkoffer für die Veränderungen in der Arbeit der Interessenvertretung und den daraus resultierenden Anforderungen an ihre Rolle und Tätigkeit. Es erwartet Sie Expert:innenwissen aus der Hochschule und Praxis. Am Ende der aus 8 Modulen bestehenden Fortbildung erhalten Sie Ihren persönlichen Zertifikatsabschluss der Akademie der Ruhr-Universität Bochum gemäß § 62, Abs. 1 Hochschulgesetz NRW.

Ausführliche Informationen, alle Termine und ein Anmeldeformular.

Die digitale Transformation – speziell für Betriebs- und Personalrät:innen

Die digitale Transformation in den Betrieben und der Verwaltung schreitet konsequent voran. Neue (digitale) Prozesse und neue Produkte verändern die Bedingungen, unter denen Beschäftigte arbeiten elementar. Um diese digitalisierte Arbeitswelt mitzugestalten und zu dirigieren, bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung. Dass die digitale Transformation unsere (Arbeits-)Welt auf den Kopf stellt, muss gar nicht schlecht sein! Wissen ist der Schlüssel zu einer positiven Mitgestaltung. Im Zertifikatskurs „Digitale Transformation“ geht es um die Auswirkungen der 4. Industriellen Revolution auf die betriebliche Interessensvertretung und die Verwaltung, die neue zeitliche Entgrenzung der Arbeit, die wichtige Rolle des Datenschutzes u.v.m. Kurzum: es geht um die digitalisierte Arbeitswelt – von Ihnen und Ihren Kolleg:innen. Am Ende der aus 8 Modulen und einer individuellen Projektarbeit bestehenden Fortbildung erhalten Sie Ihren persönlichen Zertifikatsabschluss der Akademie der Ruhr-Universität Bochum gemäß § 62, Abs. 1 Hochschulgesetz NRW.

Ausführliche Informationen, alle Termine und ein Anmeldeformular.