Migration und Religion – Zertifikatskurs
Migration lokal denken. Religiöse Gemeinschaften vor Ort
Im Ruhrgebiet und in vielen anderen Städten und Landstrichen in Deutschland zeichnet sich die kulturelle und religiöse Vielfalt der Bewohner:innen auf engstem Raum deutlich ab. Verschiedene Menschen gerade auch mit unterschiedlichen religiösen Bekenntnissen kommen täglich zusammen und treffen aufeinander – sei es im Arbeitsalltag der mannigfaltigen industriell geprägten Landschaft, bei der Freizeitgestaltung, oder im schulischen Kontext. Religiöse Gemeinschaften sind dagegen oft eher monokulturell; man bleibt am liebsten unter sich.
Deutschland ist bunt. Hinter der Vielfalt stehen oft Geschichten von Migration, nicht selten erlebt als Flucht und Vertreibung. Und Geschichten von selbstverständlichem Zu-Hause-Sein. Den jeweils Anderen bleiben nicht nur diese Geschichten oftmals verborgen. Auch mitgebrachte ebenso wie einheimische religiöse Praktiken und Liturgien muten fremd an, geheimnisvoll und unbekannt. Im Alltag ist meist kein Raum, um dem religiös und kulturell Anderen auf die Spur zu kommen. Das zertifizierte Qualifizierungsprogramm „Migration lokal denken“ bietet einen Raum und Gelegenheit für Interessierte aus Kirche, Diakonie und Gesellschaft, wissenschaftlich, empirisch und im Austausch interkulturelle Erfahrungen zu reflektieren und interkulturelle Begegnung zu vertiefen.
Das Zertifikat
Das Zertifikat bescheinigt den Erwerb von Wissen und Kompetenz in den folgenden Feldern:
- Dynamiken von Migration, Religion und gesellschaftlicher Pluralität
- Ökumene, Weltchristenheit und Interkulturelle Theologie
- Kulturtheorien (mit besonderem Schwerpunkt auf kulturellen Ausgrenzungsmechanismen und strukturellem Rassismus)
- Interkulturelle Verständigung und Gestaltungskompetenz in verschiedenen gesellschaftlichen und kirchlichen Teilhandlungsfeldern
Das Zertifikat wird als Weiterbildungsmaßnahme der Professur für Interkulturelle Theologie und Körperlichkeit der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität angeboten und durch die Akademie der Ruhr-Universität kreditiert. Die Vereinte Evangelische Mission und der Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel arbeiten in diesem Projekt mit der RUB zusammen. Der Zertifikatsstudiengang kooperiert mit der Evangelischen Kirche von Westfalen – insbesondere mit dem Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (Moewe) – die diesen unterstützt und fördert.
Die Anmeldefrist für das Wintersemester 2022/23 wurde bis zum 10.10.2022 verlängert.
Aufbau des Zertifikatskurses
Das Zertifikat ist vierstufig aufgebaut. Dazu gehören drei Lehrveranstaltungen: zwei Seminare (jeweils 3 CP) und eine Vorlesung (2 CP).
Um das Zertifikat erfolgreich abzuschließen, ist eine Abschlussleistung zu erbringen (2 CP).
Seminar I (Angebot Ruhr-Universität Bochum): „Erzählte Geschichte im Kontext von Migration und Religion“
Leitung: Prof. Dr. Claudia Jahnel/Alexander Jüngst M.A.
Dienstag 12-14 Uhr (Raum: GA 8/34); 13 Termine ab dem 18.10.2022
Der Mensch ist ein Geschichtenerzähler! Aus eigenen Erlebnissen und Erfahrungen anderer formt er/sie Geschichten, in denen er/sie zugleich lebt, denkt und fühlt. Geschichten stiften Orientierung und Sinn und schaffen den Rahmen für die Wahrnehmung und Gestaltung der Beziehung zu sich selbst und zu anderen. Im Kontext von Migration und Religion spielen religiöse Geschichten und „Theologien von unten“ eine zentrale Rolle. Das Seminar vermittelt Einsichten in Erzähltheorien und reflektiert diese vertiefend auf der Grundlage biografischer Interviews im Kontext von Migration und Religion. Ein wichtiger Baustein des Seminars ist die Einführung in die sozialwissenschaftliche Methode narrativer Interviewführung (unter Anleitung durch das Methodenzentrum der RUB). Das Seminar vermittelt einen Kontakt zu einer internationalen Gemeinde/religiösen Gemeinschaft, in der Seminarteilnehmenden biografische Interviews durchführen, die anschließend transkribiert, ausgewertet und (theologisch) reflektiert werden.
Seminar II (Angebot Kirchliche Hochschule Wuppertal nur im Wintersemester): „Interkulturelles Handeln in Kirche und Gesellschaft“
Leitung: Dr. Claudia Währisch-Oblau / Dr. Heike Ernsting / Dr. Andar Parlindungan
Termine: Mo., 07.11. / 14.11. / 21.11. / 09.01.23 (11.15-12.45 Uhr) – Zoom
Exkursion: So., 20.11.2022
Block I:
Fr., 04.11.2022 – Sa., 05.11.2022 – Hörsaal 5 (Fr., 14.30-20.00 Uhr / Sa., 9.00-12.00 Uhr)
Block II:
Fr., 27.01.2023 – Sa., 28.01.2023 – Hörsaal 5 (Fr., 14.30-20.00 Uhr / Sa., 9.00-12.00 Uhr).
Alle reden von der pluralen Gesellschaft. Dabei begegnen in Gesellschaft, aber vor allem auch in evangelischen Kirchengemeinden häufig weiße Biotope. Schwarze Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund finden sich gerade dort eher selten. Die Landeskirchen verlangen nach interkultureller Öffnung und haben die Frage nach der pluralen Gestaltung von Gemeinde auf ihre Agenda gesetzt. Die Frage, inwieweit Pfarrpersonen, Presbyter*innen und Gemeindemitglieder darauf vorbereitet sind und was interkulturelle Öffnung für eine Institution wie Kirche heißt, ist spannend mitzuverfolgen und zu gestalten. Das Seminar führt in theoretische Grundlagen der Interkulturalität ein, ermöglicht die persönliche Reflexion von kulturellen Prägungen und Weißsein/Schwarzsein, befragt Grundkonzepte der praktischen Theologie auf ihre interkulturellen Potenziale und befähigt die Teilnehmenden, am Modell der Kirchengemeinde eigene Strategien für interkulturelles Handeln in bislang
monokulturellen Kontexten zu entwickeln. Lektüre und Diskussion, Elemente von Selbsterfahrung und Selbstreflexion und die Arbeit an Fallstudien verbinden sich zu einem ganzheitlichen Lernansatz.
Vorlesung (Angebot Ruhr-Universität Bochum): „Interkulturelle Theologie – Einführung“
Leitung: Prof. Dr. Claudia Jahnel
Mittwoch 10-12 Uhr (Raum: GABF 04/511); 15 Termine ab dem 19.10.2022
Die Vorlesung führt ein in die Grundfragen der interkulturellen Theologie und der außereuropäischen Christentumsgeschichte.
Einzelne Entwürfe und Richtungen – etwa die Befreiungstheologie und die postkoloniale Theologie – werden ausführlich dargestellt. Der Schwerpunkt liegt auf theologischen, kulturellen und religiösen Entwicklungen in Afrika und Lateinamerika.
Die Vorlesung ist kulturwissenschaftlich ausgerichtet, nimmt aber auch Fragestellungen und Ansätze der Religionswissenschaft, der Missionsgeschichte sowie neueste missionswissenschaftliche Entwicklungen auf.
Abschlussleistung
Die Abschlussleistung kann wahlweise ein Projekt oder eine vertiefte schriftliche Auseinandersetzung zu einem Schwerpunkt aus den verschiedenen Modulen sein. Diese ist in Rücksprache mit Prof. Dr. Claudia Jahnel oder Dr. Claudia Rammelt bis jeweils zum Ende des Semesters abzugeben, in dem das CAS abgeschlossen wird.
Dozent:innen
Claudia Jahnel ist Professorin für Interkulturelle Theologie und Körperlichkeit an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität in Bochum. Als interkulturelle Theologin beschäftigt sie in besonderer Weise das, was im Zwischenraum interkultureller Kontakte und Grenzüberschreitungen passiert: kulturelle, theologische und religiöse Hybridisierungen, Neuerfindungen von Identität, VerAnderungen (othering) des „Fremden“, Aushandlungen von Deutungsmacht, körperbezogene Einschreibungen von Fremdheit, Ähnlichkeit und Identität, die Rolle von Sinnen und Affekten in der Konstruktion von Nähe und Distanz.
Claudia Rammelt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Interkulturelle Theologie und Körperlichkeit und am Lehrstuhl für Kirchengeschichte (Alte Kirche und Mittelalter). Die Entdeckung der Vielfalt der christlichen Glaubensformen orientalischer Christen in Deutschland ließ sie nicht nur deren Migrationsgeschichte thematisieren, sondern vor allem fragen: Wo haben diese Christen Gemeinden gegründet? Vor welche Herausforderungen sind sie gestellt? Die Pluralisierung der religiösen Landschaft wurde zum grundlegenden Thema ihres wissenschaftlichen Nachdenkens als interkulturelles Fragen nach Möglichkeiten einer Begegnung in der Glokalität.
Dr. Claudia Währisch-Oblau ist Missionstheologin. Als Leiterin der Abteilung Evangelisation der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) arbeitet sie seit 2007 durchgängig mit internationalen und interkulturellen Teams. Von 1998-2006 baute sie in Nordrhein-Westfalen ein Programm zur Zusammenarbeit zwischen einheimischen und migrantischen Kirchen auf.
Zielgruppe des Zertifikatskurses Migration und Religion
Der Zertifikatsstudiengang richtet sich an Religionslehrer:innen, Pfarrer:innen und andere Verantwortliche in den Bereichen sozio-kultureller und diakonischer Bildung und Beratung, die in besonderer Weise mit der veränderten und pluralen religiösen Landkarte in Deutschland konfrontiert sind und die ihr interkulturelles Wissen und ihre Kompetenz in diesem Feld erweitern wollen.
Der Zertifikatskurs Migration und Religion
- erschließt Wissenshorizonte und den aktuellen Forschungsstand zu Themenfeldern wie Migration, Religion, Kultur, Identität, Third Space, Dynamiken der Transkulturation, Rassismus.
- vermittelt empirischen Methoden des qualitativen Interviews und der Projektplanung.
- gibt exemplarisch vertiefte Einsichten in narrative Identitätsbildung im Kontext von Migration und Religion.
- vermittelt analytische Kompetenzen im Blick auf kulturelle und religiöse Pluralität.
- fördert eine reflektierende Professionalität, die für wissenschaftliches Forschen wie auch für andere Felder späterer beruflicher Tätigkeit eine zentrale Kompetenz bildet, indem Theorie und Praxis für sich und in ihrer Bezogenheit aufeinander reflektiert werden.
Das Thema „Kirche und Migration“ beschäftigt die westfälische Kirche schon lange. Gemeinden überprüfen, welche internationalen Glaubensgeschichten ihre Mitglieder mitbringen. Die Landeskirche steht mitten in einem Prozess interkultureller Entwicklung. Der Studiengang „Migration lokal denken“ bietet eine einzigartige Gelegenheit, darüber ins Gespräch zu kommen – an der Schnittstelle von Universität und Kirche, mit engagierten Menschen, auch aus internationalen Gemeinden – – ich freue mich sehr darüber!
Im heiligen Koran heißt es: „Oh ihr Menschen! Wir erschufen euch als Mann und Frau und machten euch zu Völkern und Stämmen, damit ihr einander kennenlernt. (49; 13)” Insbesondere durch Projekte zwischen Gemeinden und Gesellschaftsakteuren kann dieses Kennenlernen in Form von Austausch und Dialog gefördert werden. Und nur wer sich kennenlernt, bekommt die Chance, sich auch schätzen und lieben zu lernen.
Fast die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind christlichen Glaubens. Aber nur wenige von ihnen schließen sich evangelisch-landeskirchlichen Gemeinden an. Unsere Gesellschaft ist bunt, die evangelische Kirche nach wie vor weiß. Dieser Studiengang qualifiziert Menschen, die das ändern wollen. Endlich!
Visiting migrant communities and churches in NRW and conducting interviews with the members of the churches offers to students a platform to practice and develop their qualitative data collection skills and a chance to have a real experience with participant observation method. This project gives an opportunity to students to apply their theoretical knowledge on religious plurality and have access to primary source of information.
Über den Tellerrand schauen und die Begrenztheit des eigenen Horizontes weiten, sind zentrale Momente des Dialogs. Hinter verschlossenen Türen prägen beispielsweise aramäische Gebete, afrikanische Klänge und orientalischer Gesang die religiöse Vielfalt der deutschen Glaubenslandschaft. Trotz des lokalen Nebeneinanders bleibt diese Pluralität zumeist unentdeckt und fremd. Projekte, die diese Türen öffnen, ebenso wie die Ohren der Teilnehmer öffnen und den Grundstein für ein tolerantes und reziprokes Miteinander schaffen, sind elementar in einer pluralen Gesellschaft.
Die Seminare zum Thema Migration und vor allem der Diskurs mit dem Glauben und der Gemeinde der syrisch-orthodoxen haben mich dazu gebracht, über das bisher Bekannte hinauszuschauen. Diese Möglichkeiten erhalten zu haben, hat mich sehr geprägt und mich gleichzeitig verändert. Ich habe mir für meine weitere Forschung noch einige vorgenommen und werde diese Chance auch in meiner Masterarbeit nutzen. Für mich sind ökumenische und kooperative Formen des gegenseitigen Dialogs die Hoffnung und zugleich die Aufgabe einer gemeinsamen und zugleich auch theologischen Zukunft.
Im Fremden beschenkt Christus (…) die Kirche mit sich selbst. Diese leise Ahnung, diese kräftige Provokation, diese tiefe Verheißung ist auch in
der Evangelischen Kirche von Westfalen angekommen (…) und zur überraschenden und beglückenden Erfahrungen geworden.“ So
formulierte es Präses Dr. h.c. Annette Kurschus. Der Studiengang Migration und Religion an der Ruhruniversität Bochum ist eine
hervorragende Möglichkeit, diese Erfahrungen akademisch zu durchdenken und sie für die je eigene Beruflichkeit und die interkulturelle
Entwicklung der Kirche fruchtbar zu machen.